Mittlerweile gibt es hier so viele Threads, in denen sich die Themen überschneiden, dass ich anfangs gar nicht wusste, wohin mit dem folgenden Text. Daher habe ich einfach mal auf Altbewährtes zurückgegriffen ...
Der Mensch befindet sich in einem Tiefschlaf. Aber er wacht, er hält die Augen geöffnet ? der Schlaf spielt sich hinter dieser Fassade aus Haut und Knochen, Venen und Arterien, Muskeln und Sehnen ab. Zwar ist er sich seiner Umwelt nach wie vor bewusst, doch würde sie nicht gelegentlich mit einem ohrenzerreißenden Tumult, einem unangenehmen Stechen, einem Seitenhieb, einem Schicksalsschlag, einem Übelkeit erregenden Gestank oder gleißender Helligkeit auf sich aufmerksam machen, geriete sie schnell in Vergessenheit. Die Dunkelheit, die Gewalt, das Morden und Sterben ? nicht nur seinesgleichen, sondern des ganzen Planeten ? lässt ihn gelegentlich noch zusammenfahren. Er zuckt. Er wundert sich. Er liebt. Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, fällt auf die Knie und schreit sich die Lungen wund und blutig. Mit hängenden Schultern prügelt er auf den Boden ein, auf sich selbst, auf sein Gegenüber. Er tritt und spuckt. Er kotzt. Seine Knie sind aufgeschürft, seine Knöchel, Finger und Zehen sind verstaucht und gesplittert, die Atemwege sind zersetzt und gereizt. Sein Brustkorb birst unter dem Druck seiner Umwelt, und die Rippen bohren sich wie Speerspitzen durch seine Lungenwände. Sein Wille ist gebrochen. Die Symptome sind verheerend! Er wischt sich das Blut von den Lippen oder schluckt es herunter. Aber er verarztet sich nicht.
Trotz aller Ignoranz und des bejammernswerten Talents wegzuschauen, hält sich der Mensch am Leben. Irgendwie hält er seinen Kopf über Wasser. Er ist nicht tot. Er ist nicht mal richtig abgestumpft. Aber er ist auf dem besten Weg in das allerletzte Stadium. Das lässt sich kaum leugnen. Wenn sich der Mensch nicht selbst von dem Geschwür, das er ist, befreit, nimmt ihm der Planet früher oder später die Arbeit ab. Derzeit übt sich der Planet noch in Geduld, und er tut gut daran. Der Mensch ist wohl die einzige Spezies, die sich selbst zum Todfeind erklärt hat. Er wurde geteert und gefedert, doch anstatt aufzuschreien, gefällt er sich in diesem Kostüm. Er wurde gekreuzigt, hat aber gelernt, sich in dieser Position zu bequemen. Er wurde erschossen, erhängt, gevierteilt, zerhackt, geköpft und verbrannt. Wir errichten Denkmäler und Häuser, Straßen und Bürgersteige, Parks und Freibäder, Kindergärten und Schulen auf Böden, die mit Blut getränkt sind und nach Verwesung stinken. Unsere Vorfahren haben sich hier die Köpfe eingeschlagen, und als wäre das Erdreich verflucht, führen wir diese traurige Tradition fort. Gott sei Dank nicht überall, aber überall ein bisschen. Hier und da sogar ein bisschen mehr. Kaum einer lernt aus den Fehlern, die andere begangen haben.
?? und auf das ganze Schlamassel gehört ein riesiger Grabstein mit der Aufschrift: Menschheit, du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu!? (Charles Bukowski)
Der Albtraum unseres Tiefschlafs drängt durch eine poröse Membrane in die Realität; hier hat er sich längst manifestiert, und er grassiert wie eine totbringende Epidemie. Wir müssen aufwachen. Doch darf das Erwachen nicht mit einem Gähnen oder flatternden Zwinkern erfolgen. Ein Aufschrei aus voller Kehle ist vonnöten! Ein Aufschrei, der so brutal und markerschütternd in der Luft vibriert, dass er alle Mauern des Hasses, der Wut, der Scham und des Neids niederreißt, wie einst das Mauerwerk in Jericho. Kein Stein bleibt auf dem anderen, alles Schlechte und alle Schlechtigkeit wird pulverisiert und vernichtet. Kein Hass mehr. Keine Wut. Kein Trott. Keine Müdigkeit. Kein Tiefschlaf. Kein Neid auf hübschere Freundinnen oder größere Penisse.
Wir alle haben die Möglichkeit, auf uns aufmerksam zu machen. Die Menschen müssen nur aufwachen und hinsehen ? wir müssen nur aufwachen und hinsehen.
_________________ Das Leben geht weiter ? das tut es immer.
(James Herbert)
Die letzte Stimme, die man hört, bevor die Welt untergeht, wird die eines Experten sein, der versichert, das sei technisch unmöglich.
(Sir Peter Ustinov)
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